4.3: Vom Mechaniker zum Gärtner: Wie wir Selbstheilung wirklich unterstützen können
Wenn wir den Körper nicht mehr als kaputte Maschine, sondern als lebendigen, sich selbst organisierenden Prozess betrachten, verändert sich unsere Rolle als Behandler fundamental. Wir hören auf, Mechaniker zu sein, die nach einem Fehler suchen, und werden zu Gärtnern, die die Bedingungen für Wachstum und Heilung schaffen.
Diese neue Perspektive verändert die zentrale Frage, die wir uns in unserer Arbeit stellen.Die alte Frage des Mechanikers lautet: "Wie können wir diesen Menschen reparieren?"
Die neue Frage des Gärtners lautet: "Wie können wir die Prozesse in diesem Menschen unterstützen, sich neu in Richtung Gesundheit auszurichten?"

Die Gärtner-Metapher: Das große Ganze im Blick
Anstatt einen einzelnen Defekt zu isolieren, betrachten wir als Gärtner das gesamte Ökosystem des Klienten. Wenn es einem Baum nicht gut geht, schauen wir nicht nur auf den einen kranken Ast. Wir fragen: Wie steht es um die Pflanzen um ihn herum? Bekommt er genug Nährstoffe und Wasser? Wir haben das große Ganze im Blick.
Dieser ganzheitliche Ansatz öffnet die Tür für Interventionen auf allen Ebenen, die zusammenwirken, um die Selbstheilungskräfte des Organismus zu aktivieren.

Ein ganzheitlicher Werkzeugkasten
Die Gärtner-Perspektive erlaubt uns, sowohl von unten nach oben als auch von oben nach unten zu arbeiten, um das System bei seiner Neuausrichtung zu unterstützen:
- Bottom-Up (vom Körper ausgehend): Wir können die körperlichen Prozesse direkt beeinflussen.
- Ernährung: Wie häufig hängen gesundheitliche Probleme mit dem Darm oder der Verdauung zusammen?
- Bewegung & Körperarbeit: Wie können Yoga oder gezielte Körperarbeit dem System helfen, Verletzungen zu heilen und Spannungen in den umliegenden Strukturen zu lösen?
- Top-Down (vom Geist ausgehend): Wir erkennen an, dass auch unsere innere Welt die körperlichen Prozesse tiefgreifend beeinflusst.
- Weltbild & Identität: Ein Mensch, der in einer Welt voller Feinde lebt oder glaubt, immer perfekt sein zu müssen, erzeugt chronischen Stress in seinem System.
- Psychologie & Spiritualität: Unverarbeitete Traumata und der persönliche Glaube (oder das Fehlen davon) haben einen direkten Einfluss auf unser körperliches Wohlbefinden und können in den Heilungsprozess einbezogen werden.
Plötzlich kann alles dazu beitragen, dass sich das System neu ausrichten kann. Wir erkennen an, dass unsere Klienten ganze Wesen sind, in denen die Vergangenheit nicht vergangen ist, sondern sich in sich aufrechterhaltenden Prozessen immer wieder zeigt – wie ein Fluss, der immer wieder in sein altes Bett zurückkehrt.
Wenn wir aufhören, uns als Mechaniker zu sehen, und anfangen, als Gärtner zu handeln, verlagert sich unser Fokus vom reinen "Problem-Lösen" hin zur Schaffung von Bedingungen, unter denen sich der Mensch als Ganzes neu ausrichten und heilen kann.
Quellen
- Iain McGilchrist: The Master and His Emissary
- Iain McGilchrist (Buch):The Matter With Things
- Schore: Affect Regulation and the Origin of the Self (APA) | Buch (1994)
- Schore/Schore: Modern Attachment Theory & Affect Regulation | Studie (2007)
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