3.2: Liebe ist ein Tanz der Gehirne: Wie Bindung unsere Nervensysteme verdrahtet

3.2: Liebe ist ein Tanz der Gehirne: Wie Bindung unsere Nervensysteme verdrahtet

Was genau passiert in der tiefen Verbindung zwischen einer Mutter und ihrem Kind? Der Forscher und Psychoanalytiker Allan Schore hat diese Frage aus einer neurowissenschaftlichen Perspektive beleuchtet und das, was wir als Liebe und Bindung bezeichnen, als einen konkreten, biologischen Prozess beschrieben. Für ihn ist die gesunde Entwicklung eines Babys in den ersten zwei Jahren direkt von dieser liebevollen Verbindung abhängig.

Liebe als Synchronisation

Schore beschreibt die Mutter-Kind-Liebe als eine rechte Hemisphäre zu rechter Hemisphäre Beziehung. Es ist eine komplette Regulationsbeziehung, in der sich die Gehirne und Körper von Mutter und Kind aufeinander einschwingen und sich dauerhaft beeinflussen. Liebe findet also dort statt, wo eine Synchronisation geschieht. Experimente zeigen, dass in gesunden Bindungssituationen die rechten Hemisphären beider viel aktiver sind als die linken. Man kann sogar nachweisen, dass sich die Schwingungen der Gehirnhälften, die Atemfrequenz und die Gesichtsausdrücke miteinander synchronisieren. Es ist ein impliziter Tanz von Körper zu Körper und Hemisphäre zu Hemisphäre.

Die Verdrahtung der Regulation

Dieser "Tanz" ist weit mehr als nur ein schöner Moment. Durch diese Synchronisation werden die Grundlagen für unsere Fähigkeit zur Selbstregulation direkt in die rechte Hemisphäre und das autonome Nervensystem verdrahtet. Der Vagusnerv, der eine zentrale Rolle in unserer Fähigkeit zur Beruhigung und sozialem Engagement spielt (Polyvagaltheorie), ist primär auf der rechten Gehirnhälfte verankert. Die Entwicklung der Fähigkeit eines Kindes, sich selbst zu regulieren oder von anderen reguliert zu werden, ist also im Kern eine Verdrahtung der rechten Hemisphäre mit dem Vagus und dem Rest des Körpers. Beziehungsmuster und die Fähigkeit, Emotionen zu erkennen und auszudrücken, werden ebenfalls in diesem Prozess etabliert.

"Quiet Love" und "Excited Love": Regulation in der Praxis

Allan Schore beschreibt zwei konkrete, regulative Modi, die in der Interaktion zwischen Eltern und Kindern immer wieder auftauchen:

  • Quiet Love (Ruhige Liebe): Das ist die Interaktion, die stattfindet, wenn ein Kind hochgradig aktiviert ist – es schreit, ist wütend oder überfordert. Die Mutter beruhigt das Kind und hilft ihm, wieder in einen Zustand der Verbindung zu kommen. Forscher haben beobachtet, dass Mütter dabei ihre Kinder oft auf der linken Seite halten, um vom rechten Auge zum rechten Auge des Kindes Kontakt aufzunehmen – also eine direkte Verbindung über die rechten Hemisphären herzustellen. Durch diese wiederholte Erfahrung lernt das Nervensystem des Kindes, sich aus Stress zu beruhigen (Herunterregulation).
  • Excited Love (Aufregende Liebe): Genauso wichtig ist die Fähigkeit, das Kind in seiner Freude zu begleiten. Wenn ein Kind freudig ist, gehen die Eltern mit, teilen diese Lebendigkeit und erleben gemeinsam das "Juhu!". So verankert das Kind auch Zustände von Freude, Energie und Glück in seinem System. Es lernt, seine Energie zu spüren und auszudrücken (Heraufregulation).

Das ständige Wechselspiel zwischen diesen beiden Formen der Liebe bildet die Basis, auf der sich ein stabiles und reguliertes Nervensystem entwickeln kann. Liebe ist also kein passiver Zustand, sondern ein aktiver, biologischer Prozess, der die grundlegenden Muster für Sicherheit, Regulation und Beziehungsfähigkeit in uns verankert.