2.3- Die Kunst des Stolperns- Wie der 'Felt Sense' die Tür zur Körperintelligenz öffnet
Wenn wahre Erkenntnis vor dem Wort entsteht, wie können wir als Coaches und Therapeuten gezielt einen Raum für diese nonverbalen, ganzheitlichen Einsichten schaffen? Die Antwort liegt nicht darin, noch härter nachzudenken, sondern darin, die Aufmerksamkeit bewusst vom Kopf in den Körper zu verlagern. Das Werkzeug dafür ist der sogenannte Felt Sense – ein Konzept, das die Tür zu unserer tiefen Körperintelligenz öffnet.
Die Entdeckung des "Stolperns"
Der Begriff "Felt Sense" wurde vom Psychotherapeuten Eugene Gendlin geprägt. In einer langwierigen Studie wollte er herausfinden, was den Unterschied zwischen erfolgreichen und erfolglosen Therapiesitzungen ausmacht. Nach der Analyse tausender Stunden von Aufzeichnungen fand er einen einzigen, verlässlichen Vorhersagefaktor: ein Moment, den er "Stolpern" nannte.
In erfolgreichen Sitzungen kamen Klienten immer an einen Punkt, an dem sie an den Rand ihrer Sprache stießen. Sie hielten inne, suchten nach Worten und konnten eine innere Erfahrung – meist eine Körperwahrnehmung – nicht sofort benennen. Dieses "Stolpern" war kein Zeichen von Verwirrung, sondern der Beginn eines tiefgreifenden Veränderungsprozesses. Gendlin fragte sich: Können wir dieses heilsame Stolpern bewusst herbeiführen?

Was genau ist der Felt Sense?
Gendlins Antwort war die bewusste Arbeit mit dem Felt Sense. Er definierte ihn als ein verkörpertes, inneres Gespür, das alles umfasst, was unsere Körper-Intelligenz über ein bestimmtes Thema weiß. Es ist der "synthetische Gedanke" der rechten Hemisphäre, der sich nicht in Worten, sondern als körperliche Empfindung zeigt.
Wenn wir uns mit einem Problem oder Wunsch unserem Körper zuwenden, finden wir diesen Felt Sense. Anfangs ist er oft vage und kaum wahrnehmbar, doch wenn wir ihm unsere Aufmerksamkeit schenken, entfaltet er sich. Weil dieses Gefühl so umfassend und vielschichtig ist, fehlen uns zunächst die Worte – wir stolpern. Die Fähigkeit, diesen Kontakt zum inneren Wissen des Körpers herzustellen, sah Gendlin als die Grundfähigkeit für Veränderung.

Der kreative Prozess: Wie man mit dem Felt Sense arbeitet
Die Arbeit mit dem Felt Sense ist nicht linear und unvorhersehbar. Man kann eine Einsicht nicht erzwingen. Es ist vielmehr ein kreativer Prozess, der, wie jeder kreative Akt, bestimmte Phasen durchläuft:
- Vorbereitung: Man wendet sich dem Thema und dem Körper bewusst zu.
- Inkubation: Man gibt dem Gefühl Zeit und Raum zu wachsen, ohne es zu analysieren oder zu drängen. Momente der Stille sind hier entscheidend.
- Einsicht: Aus dieser Offenheit kann plötzlich ein Aha-Moment entstehen, den man nicht vorhersehen konnte.
Dieser Prozess ist kein gerader Weg, sondern eine sich entfaltende Spirale. Die Schritte darin sind:
- Bewusst den Körper wahrnehmen und den Felt Sense lokalisieren.
- Dem Gefühl Zeit und Raum geben, ohne es zu bewerten.
- Nachspüren und in Resonanz damit gehen.
- Schauen, welche Worte, Bilder oder Metaphern aus dem Gefühl auftauchen.
- Das Aufgetauchte kurz reflektieren.
- Wieder zum Körper zurückkehren und wahrnehmen, wie sich der Felt Sense jetzt anfühlt. Hat er sich verändert?
Durch diesen Kreislauf geben wir der rechten Hemisphäre immer wieder die Möglichkeit, neue Informationen ins System zu speisen, die unser sprachlicher Verstand dann in eine neue, hilfreichere Geschichte integrieren kann. Unsere Aufgabe als Coaches ist es, diesen Prozess zu unterstützen, nicht zu kontrollieren. Wir schaffen die Bedingungen dafür, dass Klienten die Kunst des Stolperns erlernen und so die tiefgreifenden Antworten finden, die bereits in ihnen schlummern.
Quellen
- Iain McGilchrist: The Matter With Things (Author Site)
- Allan Schore: Affect Regulation and the Origin of the Self (APA)
- Schore/Schore: Modern Attachment Theory & Affect Regulation (Study)
- Iain McGilchrist: The Master and His Emissary (Book)
Interne Links
- 1. Das Internal Family Systems Modell: Eine Einführung in die IFS-Therapie
- 8. Selbstführung mit IFS: Das Ziel der inneren Arbeit
- 2. Was du für Sicherheit und Verbindung wirklich brauchst
- 5. Glossar: Zentrale Begriffe des Bedürfnis- und Wachstumsmodells
- 2.1: Das Echo im Kopf: Warum reines Reden Klienten im Kreis drehen lässt
- 2.4: Der Schlüssel im Bild: Wie Metaphern und 'Clean Language' die Welt der rechten Hemisphäre öffnen
- 3.2: Liebe ist ein Tanz der Gehirne: Wie Bindung unsere Nervensysteme verdrahtet
- 3.3: Das 'Als ob'-Gefühl: Wie frühe Erfahrungen unser implizites Weltbild formen
- 4.2: Das Wunder der Stabilität: Warum der Körper ein Fluss und keine Maschine ist
- 4.3: Vom Mechaniker zum Gärtner: Wie wir Selbstheilung wirklich unterstützen können