12. Die Arbeit mit Verbannten: Der Entlastungsprozess im IFS

12. Die Arbeit mit Verbannten: Der Entlastungsprozess im IFS

Herzlich willkommen zum vierten Teil der Einführung in IFS als Ansatz für Coaching, Therapie und eigene Arbeit. In diesem Artikel möchte ich mit dir das Entlasten beziehungsweise den Entlastungsprozess und die Arbeit mit Verbannten beleuchten – das heißt, in unserer Grafik den unteren Teil der Zeichnung.

Eine wichtige Anmerkung vorab

Bevor ich hier ins Thema einsteigen möchte, möchte ich eine kleine Anmerkung machen: Das IFS-Institut und eigentlich alle Lehrer, die ich kenne, unterteilen die zwei Phasen der Arbeit – mit Teilen, mit Beschützern und mit Verbannten – klar und sprechen unterschiedliche Empfehlungen aus.

Arbeit mit Beschützern

Das heißt, es wird sehr empfohlen zu sagen: Hey, mit Beschützern, mit den Teilen, die du so in deinem Leben kennst, kannst du gerne einfach mal forschen. Kannst du Kontakt aufnehmen, kannst du die Fragen ausprobieren, kannst du mit dir selbst arbeiten. Und vielleicht auch, wenn du ein Coach oder Therapeut bist, einige dieser Fragen in deiner eigene Arbeit einbauen – kein Problem.

Arbeit mit Verbannten – Vorsicht!

Bei den Verbannten wird zu weitaus mehr Vorsicht geraten. Beschützer sind insgesamt einfach robuster, resilienter, und man kann einfach auch ein paar Fehler machen, und Beschützer können damit umgehen.

Bei der Arbeit mit Verbannten ist es fragiler und brauchen wir mehr Präzision. Verbannte wollen gesehen werden, Verbannte tragen aber eben auch mehr Verletzlichkeit, mehr Ladung und so weiter.

Und deswegen wird empfohlen: Bei der Arbeit mit Verbannten – sollten in dir Verbannte aktiv sein, solltest du mit Klienten, Protagonisten, Patienten arbeiten, bei denen viele Verbannte aktiv sind – dass du einfach Hilfe holst und dass du auch lernst, damit zu arbeiten.

Warum ich trotzdem die Schritte vorstelle

Gleichzeitig möchte ich in diesem Artikel die wichtigsten Prinzipien und Schritte für die Arbeit mit Verbannten trotzdem vorstellen, weil ich glaube, es ist einfach sehr hilfreich, ein klareres mentales Bild zu haben davon, wie diese Arbeit aussehen kann und was auch ein Beispiel ist, wie diese Arbeit vor sich geht.

Das heißt, ich hoffe, dir hilft diese Übersicht, und ich möchte trotzdem dazu anraten zu sagen: Wenn du wirklich zu dieser Tiefe auch an Arbeit vorgehen möchtest, dass du dir eine Unterstützung holst und dass du dir einfach hier auch die Fähigkeiten aneignest, die dafür notwendig sind.

Die Schritte für die Arbeit mit Verbannten

Damit möchte ich dann auch den Übergang zu den Schritten für die Arbeit mit Verbannten finden. Die Schritte, die ich heute mit dir näher beleuchten möchte, sind:

  1. Das Finden von Verbindung mit einem Verbannten
  2. Das Bezeugen (das sogenannte "Witnessing")
  3. Das Do-Over (ich nutze das englische Wort, weil es im Deutschen kein gutes Alternativwort gibt)
  4. Das Zurückholen (Retrieving)
  5. Das Entlasten (Unburdening)
  6. Und dann später die Integration von Verbannten und auch Beschützern

Das Beispiel für diesen Artikel

Ich möchte in diesem Artikel das Beispiel aus dem 6 F's-Artikel fortsetzen – mit der Session mit einer Frau, ungefähr 40, die mit Beziehungsproblemen gekommen ist.

Zur Erinnerung: Wir haben mit "Ich werde so wütend" angefangen, das als Teil identifiziert, diesen Teil erforscht – all das im letzten Artikel. Und wo am Ende, bei der Erforschung der Ängste dieses Teils, herauskam:

  • Dass der Teil Angst hat, sie wird nicht respektiert
  • Dass andere sie ausnutzen könnten
  • Und dann der Punkt, wo es wie diesen Übergang zur Verbannten-Arbeit gegeben hat, mit der Aussage: "Ich könnte mich wieder wertlos fühlen"

Und dieses "wieder wertlos fühlen" war der Punkt, wo die Wahrscheinlichkeit, dass es da einen anderen Teil gibt, der sich wertlos fühlt, sehr hoch ist – wo wir den Übergang gemacht haben zu schauen: Können wir mit diesem Teil auch in Kontakt kommen? Können wir diesen Teil vielleicht unterstützen?

Schritt 1: Sicher Kontakt herstellen mit Verbannten

Damit kommen wir zu Schritt eins der Arbeit mit Verbannten, was überhaupt das Kontakt aufnehmen mit diesen ist.

In Schritt eins geht es darum, dass wir vom Selbst aus und unter Zustimmung der Beschützer eine Verbindung mit den Verbannten aufbauen können, und dass diese Verbindung sicher ist.

Der große Unterschied zu anderen Ansätzen

Das ist ein großer Unterschied zwischen auch anderen Ansätzen, wo es darum geht, möglichst schnell in eine Tiefe zu kommen. IFS hat einen ganz großen Stellenwert für Sicherheit und vor allen Dingen auch das Einverständnis von Beschützern.

Denn die Erfahrung der Vergangenheit und die Erfahrung von Richard Schwartz und vielen anderen Therapeuten hat gezeigt: Wenn man die Beschützer übergeht, wenn man versucht, trotz Besorgnis tief und schnell zu den Verbannten zu kommen, dann hat das oft Folgen.

Ausgehend von den Beschützern, die eben nicht einverstanden sind, die nicht sehr vorteilhaft sind – wo es dann darum geht, dass das System vielleicht in einer Session tiefer gehen kann, aber dann danach plötzlich dicht macht, in den nächsten Sessions es viel schwieriger ist, Fortschritte zu machen, und so weiter.

Das Prinzip: Nur mit Einverständnis

Das heißt, es gibt eine ganz große Wertschätzung dafür zu sagen: Wir möchten Kontakt zu den Verbannten, wir möchten auch schauen, wie wir diesen helfen und diese unterstützen können, aber wir tun dies nur, wenn die Beschützer es erlauben.

Und wenn es Teile gibt, die sagen "Nein", dann respektieren wir das. Punkt.

Und dann können wir weiter forschen: Was braucht auch dieser Beschützer? Was befürchtet dieser Beschützer? Und all solche Fragen. Aber wir nehmen nur Kontakt mit den Verbannten auf, wenn die Beschützer einverstanden sind.

Nicht zu viel Fluten

Das zweite ist: Wir wollen dabei darauf achten, dass die Verbannten nicht zu sehr fluten und verschmelzen.

Denn wenn die Verbannten zu schnell, zu viel auf einmal zeigen, dann kann dies sehr Angst einflößend sowohl für die Klienten, Protagonisten, Patienten sein als auch für die Beschützer.

Das heißt, ein wichtiges Element auch dieser Kontaktaufnahme ist zu schauen: Wie können wir Verbindungen mit den Verbannten finden? Und wie können wir aber auch dafür sorgen, dass die Verbannten nicht zu viel auf einmal zeigen, sondern Schritt für Schritt, langsam sich offenbaren, genauso sein dürfen, wie sie sind, nur das System nicht überfordern?

Das sind die Schritte beim sicher Kontakt herstellen.

Das Beispiel: Der Kontakt mit dem kleinen Mädchen

Um eine Beziehung mit dem Teil aufzubauen, war die erste Frage an den Beschützer, an den Hitzkopf: Ob es da einen anderen Teil gibt, der sich vielleicht wertlos fühlt?

Und auf diese Frage hat der Teil geantwortet: "Ja, den gibt's."

Und was die Klientin anfing zu sehen, war ein kleines Mädchen, das den Kopf hat hängen lassen – das war ein Bild, das sie bekommen hat.

Und anstatt dann direkt dort einzuspringen oder viele Fragen zu dem Teil zu stellen, war erstmal der wichtige Schritt zu schauen – und zwar wieder eine Frage an den Hitzkopf: Ob es okay ist, dass wir mit diesem kleinen Mädchen erstmal bleiben, ihr ein paar Fragen stellen und zu sehen, ob wir ihr helfen können?

Das heißt, hier den Teil einzubeziehen und zu schauen: Ist er einverstanden damit? Ist es okay, diesen Schritt in die Tiefe zu machen?

Und der Hitzkopf war einverstanden, aber die Aussage war: "Bitte langsam, vorsichtig."

Und das ist eine sehr häufige Aussage, dass Beschützer oft erstmal vorsichtig sind und sagen: "Ja, aber nicht zu viel auf einmal."

Schritt 2: Das Bezeugen (Witnessing)

Wenn so der Kontakt zwischen Selbst und Verbantem hergestellt ist, wenn die Beschützer einverstanden sind und all diese Schritte gegangen sind, dann ist der erste Schritt in der Arbeit mit Verbannten – und in meiner ganz persönlichen Meinung vielleicht der wichtigste und vor allen Dingen der nicht zu übersehende Schritt – das Bezeugen (Witnessing).

Nichts verändern wollen

Da geht es erstmal darum, noch gar nichts verändern zu wollen, besser machen zu wollen oder ähnliches, sondern den Teil, den Verbannten einzuladen zu teilen, sich selbst mitzuteilen.

Eine Frage, die da gut funktioniert, ist sowas wie: "Was will der Teil, dass du weißt, spürst oder fühlst über seine Erfahrung?" Sprich: Was möchte der Teil dir zeigen?

Einfach wahrnehmen

Und das ist erstmal darum, damit gar nichts zu machen, daran nichts zu verändern.

Das ist ganz häufig das, was Verbannte sowieso schon Jahre erleben – dass andere Teile, andere Menschen die ganze Zeit sagen "Ach, ist doch nicht so schlimm" oder "Sei doch mal so" oder "Verändere dich mal so".

Sondern dass es erstmal darum geht: Ich nehme dich so wahr, wie es ist, und ich nehme – und du kannst mir zeigen, was geschehen ist und wie es sich für dich angefühlt hat.

Und meistens ist allein das schon so unglaublich hilfreich für die Verbannten und so entschämend, weil die Verbannten erleben: Ich darf so sein, wie ich bin, und ich werde wahrgenommen. Und das ist ja meistens genau das Bedürfnis, das sie haben.

Wie Verbannte teilen

An dieser Stelle teilen Verbannte oft unterschiedliche Dinge:

1. Erinnerungen

Manchmal teilen sie ganz klare Erinnerungen – was ist geschehen. Und ich erlebe das auch mit Klienten, dass wenn Erinnerungen auftauchen, das oft am einfachsten ist, weil wir dafür ein klares Framework haben im Sinne von: "Ah, das ist damals geschehen."

2. Symbole

In meiner Erfahrung sind es aber häufig nicht nur Erinnerungen, die gezeigt werden, sondern auch Dinge wie Symbole.

Anstatt der genauen Erinnerungen "Das ist damals passiert", kann es zum Beispiel sein: "Ich war immer unsichtbar."

Und in diesem "Ich war unsichtbar" steckt aber eine ganze Vielzahl, teilweise tausende Erfahrungen in diesem Symbol. Und der Teil, der Verbannte, zeigt über dieses "Ich war unsichtbar" was geschehen ist und wie er sich gefühlt hat in einer unglaublichen Präzision – wir müssen nur dieses "Ich war unsichtbar" verstehen als ein Symbol.

3. Somatische Zustände

Ein weiteres Element, wie Teile teilweise zeigen, was geschehen ist und wie sie sich gefühlt haben, ist sehr somatisch.

Es gibt Teile, die zeigen eher Gefühle und Zustände, und manchmal braucht man gar keine Geschichte, keine Bilder, kein "Am 34. März ist das passiert", sondern es geht erstmal darum: "Ah, so hat der Teil sich gefühlt." Ah! Und dass ich aus diesen somatischen Zuständen eine Klarheit entwickle.

Mitgefühl vs. Empathie

Hier ist eine grundlegende Unterscheidung, die teilweise wichtig sein kann:

  • Mitgefühl mit den Teilen – das heißt, es geht erstmal darum: Ich nehme den Teil wahr. Da brauche ich vielleicht gar nicht immer alles auch ganz stark in mir und meinem Körper zu spüren, sondern ich bin erstmal mit dem Teil.
  • Manchmal brauchen Teile aber auch mehr Empathie – ein wirklich gefühlt werden. Hier werden sie mehr gesehen und auch wahrgenommen. Und hier ist es eher ein: Wir fühlen in uns, wie sich der Teil auch gefühlt hat.

Und da einfach vielleicht als eine Unterscheidung: Manchmal braucht es das eine, manchmal braucht es das andere. Aber in allem geht es darum, den Teil so zu nehmen, wie er ist.

Das Beispiel: Das kleine Mädchen bezeugen

Mit diesem Kontakt mit dem kleinen Mädchen und dem Bezeugen war erstmal das erste, was geschah, als die Klientin diesem kleinen Mädchen Aufmerksamkeit gab: Nicht dass Bilder kamen, nicht dass Erinnerungen kamen, sondern dass sie plötzlich anfing, sich ganz klein zu fühlen.

Und das ist was, was häufiger passiert, dass die ersten Informationen erstmal in Form von körperlichen oder emotionalen Zuständen kommen.

Sie fing an, sich klein zu fühlen. Und als sie dies ein wenig erlauben konnte, kam ein Bild, eine Erinnerung hoch, wie sie von ihren Geschwistern – sie hatte ältere und größere Geschwister – gehänselt wurde.

Und mit dieser Erinnerung kam so ein: "Stimmt, das ist immer wieder geschehen." Und das war etwas, was ganz normal war für sie in dieser Zeit.

Und indem sie damit blieb und diese Erinnerung mitbekam, auch mitbekommen hat, wie klein sie sich fühlte, konnte der Teil ja auch zeigen und ihr das dann auch noch mal sagen, wie hoffnungslos und wertlos sie, die Kleine, sich gefühlt hatte, wenn das mit den Geschwistern so war.

Wenn es so war, dass sie nicht mitspielen konnte, dass sie dazu gebracht wurde, Dinge zu machen, dass sie missachtet wurde und schlecht behandelt wurde – dann war das, was dieser Teil daraus gemacht hat: "Dann muss ich wohl wertlos sein." Und damit ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit.

Schritt 3: Das Do-Over

Im Prozess der Arbeit mit den Verbannten sind wir dann hier: Wir haben Verbindung hergestellt, wir haben den Teil wahrgenommen. Und wenn wir ihn wahrgenommen haben und wenn die Teile sich wirklich wahrgenommen fühlen, dann kann der Schritt kommen, auch zu gucken: Wie können wir dem Teil helfen?

Und hier ist etwas, was sich im IFS etabliert hat: Das sogenannte Do-Over. Mir fällt kein sehr gutes deutsches Wort ein, deswegen benutze ich einfach das Englische.

Was ist ein Do-Over?

Hier – das kann man ein bisschen schnippisch übersetzen als eine Zeitreise, um den Verbannten zu helfen.

Hier ist noch mal die Erinnerung wichtig auch zu der IFS-Theorie: Verbannte stecken häufig in einer Erinnerung, einer Erfahrung oder in einem Symbol fest. Sie konnten die Erfahrung damals nicht verdauen, und deswegen sind sie da wie drin gefangen.

Und in diesem Do-Over geht es darum zu schauen: Was hätte der Teil damals gebraucht? Und können wir wie in einer Zeitreise zu dem Teil in die Erinnerung, die Erfahrung, das Symbol gehen und genau das geben, was der Teil gebraucht hätte?

Eine neue Erfahrung erschaffen

So können wir in einer imaginären Welt – die interessanterweise aber sehr viele Auswirkungen auf die reale Welt hat – eine neue und nährende Erfahrung für den Teil erschaffen.

Und mit dieser neuen Erfahrung ist es wie – ist der Teil nicht mehr nur in dieser einen Version gefangen, und die Erfahrung wird beendet, die Erfahrung wird vervollständigt.

Und damit ist es für die Teile dann ganz häufig möglich, nachdem man ihnen in ihrer Erfahrung – dort, wo sie so lange festgesteckt haben – geholfen hat, auch weiterzugehen, auch neue Schritte über diese Erfahrung hinauszugehen.

Das Beispiel: Einbezogen werden

Über auch das Mitbekommen, wie es dem Teil damals ging – das Gefühl von Wertlosigkeit, dass gehänselt werden, nicht einbezogen werden – war die Frage: Was hätte der Teil denn damals gebraucht?

Der Schritt zum Do-Over: Zu schauen, können wir dem Teil auch irgendwie eine Unterstützung geben?

Und die Aussage war erstmal: Der Teil hat sich so sehr gewünscht, damals einbezogen zu werden – ein Teil davon zu sein, nicht immer ausgeschlossen zu sein, nicht immer wie außen vor gelassen zu werden oder falsch behandelt zu werden, sondern ein Teil mit den Geschwistern zu sein.

Und während der Teil das erzählte, war aber klar: Dafür hätte es auch jemanden gebraucht, der diesen kleinen Teil schützt.

Denn die Geschwister waren alle größer, die waren alle älter, die waren stärker. Es gab immer wieder Situationen, da konnte dieser Teil sich nicht durchsetzen, und es hätte jemanden gebraucht, der in diesen Momenten für sie einsteht.

Die Klientin übernimmt die Rolle

Und auch weil das diese Klientin so berührt hat, auch diese Vorstellung, dass das gefehlt hat, dass das gut gewesen wäre, war die Frage: Kannst du das tun? Kannst du als Erwachsener, als Selbst in diese Situation gehen und dem Teil unterstützen?

Und die Feststellung war: Ja, sie konnte in diese Situation gehen.

Sie konnte dafür sorgen, dass die anderen Geschwister mit ihm, mit ihr spielen. Sie konnte denen erklären, was wichtig ist, worum es geht. Und sie konnte auch in Situationen, wo die Geschwister sie nicht gut behandelt haben, dafür sorgen: "Hey, so nicht!"

Die wohltuende Erfahrung

Und es war in dieser Vorstellung für diesen Teil eine unglaublich wohltuende Erfahrung zu merken: Es hätte so sein können, und jetzt gerade, in dieser Situation, ist es so.

Und mit dieser Erfahrung war dann ein ganz wichtiger Schritt der Session: Überhaupt einfach damit zu bleiben – mit diesem "Der Teil fühlt sich gerade dazugehörig, der Teil fühlt sich ein Teil davon, und er fühlt sich sicher."

Das war etwas, was einfach Zeit gebraucht hat, und wo wir Minuten damit verbracht haben, einfach mit dieser Situation zu sein: Was geschieht dann? Wie ist das für den Teil? Wie ist das auch für dich? Damit zu bleiben.

Schritt 4: Das Zurückholen (Retrieving)

Dann, wenn Teile wahrgenommen wurden, wenn über das Do-Over geschaut wurde, was hätte der Teil gebraucht, und können wir ihm das jetzt geben, dann ist der nächste Schritt, der in der IFS-Therapie möglich ist, zu schauen: Können wir den Teil zurückholen?

Im Englischen das Wort "retrieve" – und an einen besseren Ort bringen.

Warum zurückholen?

Wie schon öfter gesagt: Verbannte stecken fest. Verbannte stecken in einer Situation, einer Erinnerung und damit in der Vergangenheit fest.

Und ein weiterer Schritt, um den Verbannten zu helfen, aus dieser Situation, aus diesem Feststecken herauszukommen, kann sein, ihn symbolisch in einen anderen Ort zu bringen.

Das heißt, anstatt den Teil hier weiter in der gleichen prekären Situation zu lassen, kann es hilfreich sein zu schauen: Möchte der Teil aus der Vergangenheit in die Gegenwart geholt werden?

Mögliche Orte

Das kann zum Beispiel heißen:

  • Dass der Teil in dein jetziges Haus, in die jetzige Wohnung oder ähnliches einzieht, einen Ort hier findet, wo er sein kann und wo du auch immer wieder Kontakt mit ihm aufnehmen kannst
  • Dass der Teil an einen Ort in der Vorstellung kommen kann – ich habe einige Klienten, die haben wie einen Ort, wo Teile, die aus der Vergangenheit befreit werden, immer wieder an den gleichen Ort kommen, weil es dort gut ist und die Teile dort gemeinsam sein können
  • Und es kann manchmal auch unglaublich hilfreich sein, den Teil wie in den eigenen Körper zu nehmen – dass ein Teil, der so lange abgeschnitten war vom System, jetzt einen Ort wie im Herzen, im Bauch, in den Beinen, wo die Kraft ist, erhält und dadurch Teil des jetzigen Lebens wird

Zwei Schritte vollzogen

Das heißt, damit haben wir zwei Schritte gesehen:

  1. Der Teil hat eine neue Erfahrung gemacht, dadurch wurde die Erfahrung, in der er festgesteckt ist, vervollständigt
  2. Und er wurde rausgeholt in eine neue Situation

Das Beispiel: In die Gegenwart

Mit dieser positiven neuen Erfahrung und in dem Schritt Zurückholen war die Frage an den Teil: Möchte dieser Teil auch aus dieser Situation rausgeholt werden?

Und in diesem Fall, nachdem sie so lange festgesteckt ist, so lange in dieser Erfahrung von Wertlosigkeit und Ähnlichem gewesen ist, war die Antwort: "Ja, ich will daraus zurückgeholt werden."

Und die Frage: "Wohin denn?"

Und die Antwort: "Zu dir, in die Gegenwart."

Ein Ort in der Wohnung

Und für den Teil war das Wichtigste: Wie in dem Raum zu sein, in dem die Erwachsene war.

Und der Teil hat sich in der Wohnung umgeblickt und einen Ort gefunden – eine Ecke. Und eine Ecke, die für die Klientin gar nicht so besonders war, aber: "In der Ecke will ich hin."

Und damit hat dieser Teil wie einen Ort in der Gegenwart gefunden und sich dort gemütlich gemacht.

Regelmäßiger Kontakt

Und mit der Frage "Braucht der Teil da noch etwas?", dann war die Aussage: "Ja, ich möchte einfach auch regelmäßig hier mit dir in Kontakt kommen."

Und sie konnte das machen, sie sagte: "Ja, können wir gerne machen."

Und sobald dieser Teil dort in der Wohnung einen Ort gefunden hat, war es auch, dass dieser Ort für sie eine andere Bedeutung hatte – dass das, was vorher eine Ecke war, jetzt eine emotional bedeutsame, wichtige Ecke auch war.

Schritt 5: Das Entlasten (Unburdening)

Dann, wenn ein Teil wahrgenommen wurde, wenn durch das Do-Over dem Teil etwas Gutes getan wurde, das, was er in der Vergangenheit gebraucht hätte, endlich gekommen ist, wenn er an einem besseren Ort ist – sind nicht in 100% der Fälle, wo die Teile auch aus der Situation herauskommen, aber häufig – dann kann es an den Punkt kommen, den sich meiner Erfahrung nach viele, viele Menschen wünschen und wegen dem sie auch zu Coaches oder Therapeuten kommen, nämlich: Das Entlasten.

Was ist Entlasten?

Im IFS-Prozess ist das Entlasten ein ganz expliziter Vorgang, wo es darum geht zu schauen: Ob Teile, jetzt wo sie eine neue Erfahrung hatten, jetzt wo sie in einem anderen Ort sind, immer noch etwas aus der Vergangenheit tragen – eine Last.

Häufig entweder:

  • Ein Bild
  • Ein Gedanke
  • Ein Gefühl
  • Oder etwas, was sie wie in ihrem Körper tragen oder wir in unserem Körper wahrnehmen

Und die Frage: Ob der Teil bereit ist, das loszulassen?

Das Ritual mit den Elementen

Und wenn Teile bereit sind, das loszulassen, ist im IFS die Erfahrung gegeben, dass es sehr hilfreich sein kann, wie ein innerliches Ritual abzuhalten, in dem Teile diese Last an eines der Elemente übergeben können.

Damit es nicht darum geht, diese Last einem anderen Menschen zurückzugeben. Damit es nicht darum geht, diese Last jetzt für immer trotzdem noch mit sich rumzutragen. Sondern damit diese Last aufgelöst werden kann.

Und die Elemente – sprich:

  • Wasser
  • Feuer
  • Luft
  • Erde
  • Oder auch der Äther, das Spirituelle, vielleicht eine spirituelle Quelle, ein spiritueller Meister, mit dem man sich sehr verbunden fühlt

Diese Elemente können die Last der Vergangenheit aufnehmen und transformieren.

Die Kraft des Symbolischen

Und wenn Teile die Last an ein Element abgegeben haben, dann kann sich durch diesen symbolischen Prozess innerlich noch mal etwas vollziehen.

Das heißt, dadurch, dass wir diesen Raum eröffnen, wo auch in der Vorstellungskraft etwas übergeben werden kann – und in meiner Erfahrung gibt es auch einige Menschen, die dann dieses Ritual aus der Vorstellungskraft in die reale Welt übertragen und das auch dort noch einmal machen – dann kann etwas losgelassen werden, was vielleicht schon Jahre oder Jahrzehnte im System feststeckte.

Das Beispiel: Die Übergabe ans Wasser

In diesem Ort angekommen war die Frage an den Teil: Gibt es noch etwas, was sie auch aus der Vergangenheit trägt, in sich hat und loslassen möchte?

Und da war die Antwort des Teils: "Ja, dieses Gefühl, die Last des 'Ich wertlos bin'."

Und auch mit der Aussage dieses Teils, dass da immer noch diese Last, dieses Gefühl, wertlos zu sein, ist, hat die Klientin auch in ihrem Körper wie erlebt: Mit diesem Gefühl war es wie keine Kraft.

Und das war für sie so sinnvoll, dass wenn dieser Teil so kraftlos im Körper ist, dass der Hitzkopf das genaue Gegenteil davon ist und so über alle Maßen reagiert. Und dieses "Ich bin wertlos", keine Kraft im Körper.

Der Prozess der Übergabe

Und der Teil möchte das loslassen. Und auf die Frage, wie der Teil das loslassen möchte – ob es zum Beispiel an eines der Elemente, das Wasser, das Feuer, die Erde übergeben will – war klar: Dieser Teil möchte diese Gefühle und auch diese Kraftlosigkeit ans Wasser übergeben.

Und die Klientin konnte sich einen wunderschönen See vorstellen, wo sie gemeinsam mit dem Teil in das Wasser geht und wo das Wasser dieses Gefühl wegschwemmt.

Und wie Stück für Stück diese Kraftlosigkeit und auch diese Wertlosigkeit weggeschwemmt wird. Und mit jedem bisschen, was davon weggeschwemmt wird, wie von ganz alleine eine Stärke aufkam.

Wie das Wasser nicht nur die Last genommen hat, sondern auch eine Qualität von Stärke in sie reingebracht hat.

Zeit nehmen

Und das war wieder einer dieser Momente, wo wir Minuten in der Session damit verbracht haben, dieses zu haben und einfach dem Raum zu geben, bis der Teil diese Last losgelassen hat und dieses Gefühl von Wertlosigkeit und dieses "keine Kraft zu haben" nicht mehr im Teil war.

Schritt 6: Die Integration

Wenn Verbannte Lasten losgelassen haben, dann ist einer der ganz natürlichen Schritte, der geschieht, dass Qualitäten – das können manchmal neue Qualitäten sein, und sehr häufig die Qualitäten, die der Teil eigentlich immer getragen hat – dass diese Qualitäten wieder auftauchen. Und auch mit diesen Qualitäten etwas im System geschieht, was dann integriert werden sollte.

Das heißt, der Abschluss der Arbeit mit den Verbannten ist die Integration der positiven Qualitäten, der Veränderung, die geschehen ist, und auch die Integration der Beschützer und die Veränderung der Beschützer, die dadurch geschehen ist.

Positive Qualitäten auftauchen lassen

Ich möchte hier als Erstes erstmal auf diese positiven Qualitäten eingehen. Wenn Teile die alten Lasten loslassen, dann entsteht manchmal erstmal ein Vakuum – dann ist der Teil plötzlich ganz anders, und es ist nicht klar, wie ist was.

Aber genauso häufig geschieht es, dass wenn etwas Altes losgelassen wird – wie die Schwäche, dieses "der ganze Körper hat energielos" ins Wasser übergeben wird – dass wie von ganz alleine etwas anderes auftaucht.

Und dieses andere, was auftaucht, ist oft ganz genau das, was im System vorher gefehlt hat. Weil es genau das war, womit diese Teile früher versucht haben, in der Welt zu leben, und wo sie genau dort verletzt wurden.

Dem System Zeit geben

Wenn diese positiven Qualitäten auftauchen, dann wäre die allererste Frage: Na, was geschieht denn dann mit dem Rest des Systems? Wie beeinflussen diese Qualitäten das System?

Denn ganz häufig ist es so: Wenn dann eine Stärke, eine Kraft, eine Stabilität auftaucht und man dieser Stärke, Kraft, Stabilität – und in diesem Fall ein wenig wässrigen – Raum und Zeit gibt, dass das unglaubliche Auswirkungen auf andere Teile, das Nervensystem, den ganzen Körper haben kann.

Und dass das Geben für dieses Ausbreiten sehr wertvoll ist.

Qualitäten bewusst einladen

Wenn diese Qualitäten dann da sind, man dafür ein wenig Zeit hatte – manchmal braucht es auch Zwischenschritte, wo es darum geht, dass Teile ganz bewusst Qualitäten einladen können. Die Qualitäten kommen nicht automatisch auf, sondern man kann fragen: Welche Qualität wünschst du dir denn?

Die Beschützer einbeziehen

Dann wäre der nächste Schritt zu schauen: Haben die Beschützer das wahrgenommen? Haben die Beschützer mitbekommen, dass jetzt etwas anders ist? Dass dieser Teil nicht mehr diese Last trägt? Dass da jetzt diese Kraft ist?

Und wenn sie das mitbekommen haben: Müssen sie ihre Rolle noch erfüllen?

Und ganz häufig ist die Antwort: Nein.

Regelmäßig ist die Antwort auch: "Ich weiß noch nicht, ich muss erstmal noch schauen" – was total in Ordnung ist.

Die natürliche Veränderung der Beschützer

Nur: Wenn die Last, die Verletzlichkeit, die diese Beschützer Jahre, Jahrzehnte versucht haben zu verdrängen, nicht mehr da ist, dann denken die auch: "Wieso sollte ich jetzt meinen Job noch machen?"

So kann auch: "Ich kann meinen Job loslassen."

Und das ist ganz häufig die natürliche Phase, wo es dann darum geht, dass die Beschützer das mitbekommen und sagen: "Wow, das ist ja großartig!" Und dann ihre Rolle, ihre Verhaltensweisen verändern und anpassen können.

Follow-up ist entscheidend

Und als letzter Schritt – auch für diese Integration ganz wichtig – dann nicht einfach zu sagen: "Gut, hervorragend, für immer durch!", sondern dass es hier auch wichtig ist, ein Follow-up zu haben.

Meistens ein Follow-up sowohl für den Klienten, Patienten – für dich vielleicht – mit dir, dass du täglich, alle zwei Tage mit dem Verbannten, mit auch den Beschützern einmal eincheckst und sagst: "Hey, ich bin immer noch da."

Denn es ist der Aufbau dieser neuen Beziehung, der sehr wichtig ist auch für die nachhaltige Veränderung.

Und es braucht häufig aber auch ein Follow-up vielleicht in Sessions – mit dir selbst, Sessions mit jemand anders – wo es einfach noch mal darum geht, mit den Teilen einzuchecken und zu schauen: Wie hat sich etwas verändert?

Das Beispiel: Die Integration der Stärke

Und auch hier wieder das mit einem Beispiel. Und um dann auch damit, mit dieser Veränderung durch das Wasser, eine Integration zu finden, war das erstmal wichtigste: Erstmal zu schauen, was geschieht denn damit?

Wenn das Stabilität ist, welche Auswirkungen hat das auf den Teil? Welche Auswirkungen hat das auf sie?

Und dass diese Stärke für sie vor allen Dingen dazu geführt hat, dass sie sich stabil gefühlt hat – eine ganz andere Stabilität. Es war keine rigide Stabilität, sondern wie eine flüssige, wässrige, aber trotzdem ganz klare Stabilität.

Und das hat wieder einige Minuten gedauert, dass sich das auch so entfalten konnte – für den Teil, für sie.

Der Hitzkopf kann sich entspannen

Basierend auf dieser Veränderung – dass da eine Stärke ist, dass dieser Teil sich nicht mehr wertlos fühlt – war die Frage: Haben denn die Beschützer, und hat vor allen Dingen der Hitzkopf, das mitbekommen?

Und die Antwort des Hitzkopfes war: "Ja, er hat das mitbekommen, und er ist glücklich darüber, dass dieser Teil nicht mehr so schwach und wertlos ist."

Und basierend darauf, dass er das mitbekommen hat, war die Frage: Und wenn er das mitbekommen hat, muss er dann immer noch seinen Job auf die gleiche Art und Weise machen?

Und die Antwort hier vom Hitzkopf war: "Nein, er kann sich entspannen. Er kann wie in den Hintergrund rücken, kleiner werden."

Bereit für Notfälle

Und was dem Hitzkopf sehr wichtig war, war zu sagen: Er ist nicht ganz weg. Wenn es ihn noch braucht, wenn es auch diese Explosivität braucht, dann ist er da.

Aber er muss nicht mehr bei jeder Kleinigkeit explodieren. Weil wenn sie stabil ist und auch der Teil stabil ist, dann können die beiden gemeinsam ganz vieles regeln. Und der Hitzkopf ist nur da, wenn es wirklich notwendig ist.

Veränderungen im Alltag

Und basierend darauf konnte die Klientin dann auch wunderbar in ihren Alltag gehen. Wir haben verabredet, auch noch mal in der nächsten Session einzutauchen.

Aber die Veränderungen in ihrem Alltag war, dass dieser Hitzkopf nicht mehr so schnell und so überall explodiert ist. Und das hatte unglaublich viele Veränderungen für sie.

Das hieß nicht, dass sie jetzt nirgendwo mehr wütend wurde, und auch immer noch gemerkt hat: "Es gibt Situationen, da reagiere ich vielleicht stärker als andere."

Aber dass sie an ganz vielen Punkten nicht mehr dieses Gefühl von "Hier werde ich übergangen, hier werde ich ausgenutzt" hatte, sondern ein Vertrauen und ein Gefühl von: "Nee, das – wir finden hier einen Weg."

Und dieses Explosive war nicht mehr so stark. Und das war eine unglaublich große Veränderung auch für ihre Beziehung, dass der hier nicht mehr so im Vordergrund stand, sondern mehr ein Gefühl von: "Damit kann ich umgehen, damit komme ich klar."

Zusammenfassung

Und das war's dann auch schon für diesen Artikel. Das waren jetzt zum Abschluss noch einmal die Schritte für die Arbeit mit Verbannten:

  1. Sicher Kontakt herstellen – mit Einverständnis der Beschützer
  2. Bezeugen (Witnessing) – den Teil wahrnehmen, wie er ist
  3. Do-Over – eine heilende Erfahrung ermöglichen
  4. Zurückholen (Retrieving) – an einen besseren Ort bringen
  5. Entlasten (Unburdening) – Lasten an die Elemente übergeben
  6. Integration – positive Qualitäten ausbreiten lassen und Beschützer einbeziehen

Ich hoffe, diese Übersicht zum Thema IFS als Ansatz für Therapie, Coaching und eigene Arbeit hat dir geholfen. Wenn sie für dich wertvoll war, teile sie vielleicht mit anderen Menschen, die davon auch profitieren können.

Und noch einmal die wichtige Erinnerung: Wenn du wirklich mit Verbannten arbeiten möchtest – ob bei dir selbst oder mit Klienten – dann hole dir bitte professionelle Unterstützung und bilde dich entsprechend weiter. Die Arbeit mit Verbannten braucht Präzision, Sicherheit und Erfahrung.